Die philosophische Erzählung „Die Prinzessin von Babylon”
Am 24. Oktober 2007 wird die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar nach ihrer Rekonstruierung wiedereröffnet. Schon jetzt beginnt die SZ-Edition „Biblioteca Anna Amalia”. Die zwölf ausgewählten Bände aus den historischen Beständen der Bibliothek werden jeweils durch ein Nachwort erschlossen. Voltaire ist mit der philosophischen Erzählung „Die Prinzessin von Babylon” vertreten. Wir bringen einen Auszug aus dem von Hans Pleschinski verfassten Nachwort. SZ
Die Zeitgenossen kannten die Szenerie. 1768 lag Voltaire wieder einmal im Sterben. Seit jungen Jahren war es eine Lieblingsbeschäftigung des Philosophen, Freigeistes, Laien-Wissenschaftlers, Gejagten und Jagenden, des mustergültigen Hypochonders Voltaire, mit eindrucksvollem Jammer das Zeitliche zu segnen und neuerlich seine letzten Botschaften an die Mit- und Nachwelt zu diktieren. Wie im Fluge brachte er dieses Mal eine Geschichte des Parlaments von Paris zu Papier, Libretti zu Komischen Opern, die Tragödie „Les Gu?bres” und zudem jenen Roman, den Katharina die Große zu den vorzüglichsten Heilmitteln der Menschheit zählte: „La Princesse de Babylone”, ein Meisterwerk der Feinheit und Eleganz.
Ein Roman? Eine Erzählung? Die Gattung der knapp einhundert Seiten ist schwer zu bestimmen. Zeitlebens hatte Voltaire Prosastücke hingeworfen, in denen seine Phantasie hatte aufschäumen können und die Anliegen der Aufklärung mit romaneskem Elan und märchenhafter Farbe vorgebracht worden waren. Die Feier des Individuums und Kampfansage an jegliche Gängelung des Menschen blieb dabei das Signum für Voltaires Leben und Werk. Auf zauberische Weise scheint es auch in diesem Alterswerk durch: Noch einmal wird der ganze Fächer der Aufklärung und des Rokoko aufgeschlagen und erquickt den Leser wie mit frischer Brise.